Der neue Roman des enfent terrible der gegenwärtigen französischen Literaturszene sorgte schon für Aufregung, bevor er überhaupt erschienen war. Sein Erscheinen in Frankreich war dann überschattet von dem schrecklichen Massaker bei Charlie Hebdo. Nun liegt der Roman seit kurzem auf Deutsch vor – Zeit sich mit ihm auseinanderzusetzen!
In der Tat sind die Bezüge von Houellebecqs Roman auf das Geschehen in Europa fast erschreckend aktuell. Gewollt ist das mit Sicherheit für die französische Politik – schließlich knüpft Houellebecqs Zukunftsvision unmittelbar an die aktuellen politischen Entwicklungen in Frankreich an und schafft durch das Hinzufügen eines einzigen neuen Parameters ein durchaus faszinierendes und intellektuell erhellendes Zukunftsszenario. Dieses war es auch, was den Roman in die Zeitungen brachte noch bevor er überhaupt erschien.
Houellebecq entwirf ein Szenario, bei dem die politische Rechte in der nahen Zukunft kurz vor dem Sieg der französischen Präsidentschaftswahlen steht. Die einzige Partei, die sich gegen den Front Nationale noch behaupten kann, ist eine gemäßigt muslimische Partei, deren Kandidat Ben Abbes im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen den zweiten Platz hinter Marine le Pen erringt. Um den Sieg der Rechten zu verhindern verbünden sich schließlich die traditionellen linken und rechten Parteien der Mitte mit dem gemäßigten Muslimbrüdern, so dass deren Kandidat die Präsidentschaftswahl gewinnt und Frankreich langsam in eine muslimische Demokratie umbaut. Der einzige Faktor in dieser Fiktion, der nicht jetzt in der Gegenwart schon angelegt ist, ist die Idee einer gemäßigten muslimischen Partei, die nach politischer Macht strebt. Alle anderen Entwicklungen sind scharfsinnig beobachtete mögliche Fortschreibungen der Gegenwart – das macht diese politische Vision so beunruhigend. Dabei setzt Houellebecq zugleich eine bestimmte politische Theorie in Szene – dazu später mehr.
Mit dem Vorwissen über dieses Szenario begann ich also den Roman zu lesen und war zunächst überrascht, dass die gesamte politische Thematik über weite Strecken des Romans nicht viel mehr ist als ein Hintergrundrauschen. In erster Linie nämlich handelt „Unterwerfung“ von François, einem mit seinem Altern ringenden Professor für Literaturwissenschaften der Pariser Sorbonne, ein ausgewiesener Experte für das Werk von Joris-Karl Huysmans. Francois begegnet dem Leser als Ich-Erzähler und er macht unmissverständlich deutlich, dass er sich für vieles eigentlich gar nicht (mehr) interessiert – das gilt zu erst für seinen Beruf als Professor: Er ahnt, dass er den Höhepunkt seines Wirkens schon lange überschritten hat, dass er nichts Großes mehr erreichen wird, so dass er seinen Job ohne große Begeisterung ausübt. Einen Sinn sieht er in seiner Tätigkeit nicht mehr. Aber auch die Politik interessiert ihn eigentlich überhaupt nicht und er wird nur durch die Ereignisse dazu genötig, sich mit den politischen Entwicklungen in seinem Land auseinander zu setzen.
Das einzige was ihn noch etwas aus seiner Tristesse und der drastistisch empfundenen Sinnlosigkeit seiner Existenz herausreißen kann sind seine sexuellen Eskapaden mit Studentinnen. Da er aber auch auf diesem Gebiet keine Erfolge mehr erlebt und er daran zu zweifeln beginnt, ob er noch sexuelle Lust empfinden kann, spricht er immer mehr dem Alkohol zu und weiß eigentlich nicht mehr so recht, was er mit sich und seinem Leben anfangen soll. Francois ist eine der für Houellebecqs Romane typischen scheiternden egozentrischen Existenzen, die an der Sinnlosigkeit des Lebens in der spätmodernen Gesellschaft leiden. Und wie immer analysiert Houellebecq die Leere und die Eitelkeit der gesellschaftlichen Mechanismen unserer Zeit mit gnadenloser Präzision – was in diesem Fall besonders den akademischen Betrieb betrifft:
Ein Studium im Fachbereich Literaturwissenschaft führt bekanntermaßen zu so ziemlich gar nichts außer – für die begabtesten Studenten – zu einer Hochschulkarriere im Fachbereich Literaturwissenschaften. Wir haben es hier im Grund mit einem recht ulkigen System zu tun, das kein anderes Ziel hat, als sich selbst zu erhalten; die über 95 Prozent Ausschuss nimmt man in Kauf.
(Unterwerfung, S. 13).
So spricht wohlbemerkt der Erzähler François, der Professor für Literaturwissenschaft ist. Er dreht sich den ganzen Roman hindurch v.a. um seine eigenen Probleme: Entweder wird er von seiner Arbeit so absorbiert, dass er von der Welt um ihn herum nichts mitbekommt, oder er sinniert über sein erodierendes Sexleben nach. Nicht mal der Tod seiner beiden Eltern, zu denen er schon seit Jahren keinen Kontakt mehr pflegt, kann ihn aus diesem Trott herausreißen. Schon gar nicht die massiven politischen Veränderungen in Frankreich. Dass er mit der Umwandlung der Sorbonne in eine islamische Universität in den Ruhestand versetzte wird, löst auch keine größere Aktivität aus – schließlich sind die Ruhestandsbezüge recht komfortabel.
So stellt François sich nur widerwillig den politischen Veränderungen, die im Großen und Ganzen kaum Auswirkungen darauf haben, wie er sein Leben führt. Darin liegt m.E. eine der Pointen des Romans: Für den egoistischen Hedonismus des spätmodernen Mannes macht das politische System am Ende nur einen marginalen Unterschied aus – wenn er sich geschickt mit den neuen Machthabern arrangiert, kann er sogar Vorteile davon haben. Darüber, dass die Frauen in seinem Umfeld nun aus der Arbeit verdrängt werden, ist François offensichtlich nicht sonderlich empört – zum Problem wird es erst als er bemerkt, dass so ein gesellschaftlicher Empfang ohne Frauen seinen Reiz verliert …
Letztlich interessiert den Ich-Erzähler des Romans auch der religiös-islamische Hintergrund der neuen Politik nicht wirklich. Seine Auseinandersetzung mit einem kleinen Büchlein über den Islam konzentriert sich v.a. auf die Frage der Legitimation der Polygamie. So ist es dann am Ende auch die Aussicht auf mehrere hübsche junge Ehefrauen und ein äußerst üpiges Gehalt, die François zum Schluss des Buches die Perspektive einer Konversion zum Islam in den Blick nehmen lassen, damit er wieder zurückkehren kann in den aktiven Dienst eines Professors an der Islamischen Universistät von Paris.
Der ach so erfolgreiche spätmoderne Mann wird also bei Houellebecq mal wieder auf seine basalen Triebe reduziert: Sex, Geldgier und Sehnsucht nach Anerkennung diktieren das Leben des Protagonisten. Alles intellektuelle Getue, alle gesellschaftlichen Konventionen werden zur bloßen Fassade: Das gilt auch und nicht zu letzt für das liberale Ideal der Freiheit, die zunehmend zur bloßen Illusion degradiert wird. Am Ende sind wir für Houellebecq doch alle nur Getriebene, und – das ist die sehr Islamkritische Pointe – der Islam versteht es diese basalen Triebe des postmodernen Mannes zu befriedigen: Darum kann er sich in diesem Roman überhaupt als politische Macht der Spätmoderne etablieren. Houellebecqs Vorliebe für Friedrich Nietzsche ist wieder einmal nicht zu übersehen.
François verkörpert damit den apolitischen bzw. vom politischen System entfremdeten Bürger. Diesen Entfremdungsprozesses beschreibt er selber sehr genau – nicht ohne zuvor zu betonen, dass ihn Politik eigentlich anekelt:
Dass Politik in meinem Leben eine Rolle spielen könnte, verwirrte und ekelte mich ein bisschen. Mir war aber bereits klar geworden, dass der sich seit Jahren verbreiternde, inzwischen bodenlose Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen – also Politikern und Journalisten -, notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbaren führen musste
(Unterwerfung, S. 101).
Houellebecq inszeniert den politischen Konflikt, wie mir scheint, nach den Regeln der politischen Theorie von Chantalle Mouffe (On the political, London/New York 2005): Das Wesen des Politischen ist für Mouffe (in Anknüpfung an Carl Schmitt) der Konflikt. Politischer Diskurs lebt davon, dass er Konflikte nach Regeln inszeniert und austrägt. Zur demokratischen Konfliktkultur gehörte es, dass die politischen Antagonien nach etablierten Regeln im parlamentarischen Diskurs ausgetragen werden, statt mit Waffen auf dem Schlachtfeld – Politik wird so gewissermaßen zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Geschieht dies nicht mehr – z.B. weil die etablierten Parteien keine wirklich unterschiedlichen Positionen mehr vertreten – so ist das ein Zeichen dafür, dass das politische System die gesellschaftlichen Antagonismen nicht mehr repräsentieren kann. Eben das ist die Situation der Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft, die François in dem Zitat beschreibt.
Diese Situation führt nach Mouffe dann konsequenter Weise dazu, dass die Antagonismen am Rande oder außerhalb des politischen Systems entstehen – der zivilisierte und gebändigte Antagonismus droht dann wieder als gewalttätiger Konflikt aufzuflammen. Je mehr also die etablierten Parteien in der Mitte zusammenrücken und den Konflikt meiden, desto größer ist die Gefahr, dass extreme Bewegungen an Einfluss gewinnen – bis dahin, dass sie das politische System gefährden und es in ein Chaos stürzen. Das ist die Sorge die François in diesem Zitat formuliert.
Genauso erzählt Houellebecq dann auch den Übergang von einem System ins andere als einen chaotischen Prozess: Auf der einen Seite steht die radikalisierte Rechte, mit der identitären Bewegung als gewaltbereiter Splittergruppe, auf der anderen Seite die gemäßigte muslimische Partei und die extremistischen dschihadistischen Splittergruppen. Weil der traditionelle politische Gegensatz von Links und Rechts nicht mehr funktioniert, gerät das System ins Wanken, neue Gruppierungen und Gegensätze bilden sich, die im politischen System nicht abgebildet sind und so kommt es im Zuge der Stichwahl zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Am Ende siegt dann doch wieder der demokratische Prozess, aber nur, weil er sich völlig neu sortiert und der alte Gegensatz von rechts vs. links aufgehoben wird.
Nun mag man als deutscher Leser denken, dass das eine Szenario ist, dass sich PEGIDA nicht abstruser hätte ausdenken können. Aber wer so denkt, übersieht, dass in Houellbecqs Roman sowohl die radikale Rechte als auch die muslimische Partei nur Ergebnis eines Prozesses sind, der sein Grund in der völligen Entpolitisierung der Menschen hat, sowie es François verkörpert. Das Problem ist also nicht so sehr, dass die Politik nicht mehr die Menschen erreicht, sondern es ist vielmehr, dass der spätmoderne, egoistische, um sich selbst kreisende Mensch, eigentlich keine Politik will – er will sich mit sich selbs beschäftigen und seine Bedürfnisse befriedigt wissen, alles andere ist ihm egal.
Das Ergbnis ist eine Entfremdung der Menschen von der Politik und eine Radikalisierung, bei der die politischen Extreme einander ähnlicher sind als sie es wahr haben wollen. Und so wird die radikalisierte Rechte am Ende zu der Kraft, gegen die sich die etablierten Parteien mit Ben Abbes verbünden – sie werden also zum eigentlichen Anlass des Umsturz des politischen Systems. Es sind die politischen Extreme, die sich gegenseitig verstärken, und die so am Ende dem gemäßigten muslimischen Präsidenten den Weg bereiten. Ohne eine erstarkende Rechte, gäbe es also in Houellbecqs Roman auch keinen muslimischen Präsidenten.